Lernen im Wald

Freiburger Forscherteam entwickelt Konzepte, die Kindergartenkindern den sperrigen Begriff der Nachhaltigkeit näherbringen sollen. Von Stephanie Streif

Eine Gruppe von Kindern steht zusammen mit einer Försterin im Wald. Auf dem Boden liegt eine Weißtanne, die gerade mit lautem Krachen zu Boden gefallen ist. Die Kinder schauen nach oben und betrachten das Loch zwischen den dichten Baumkronen. Still ist es, zwei, drei Momente lang. Plötzlich redet ein kleiner Junge drauf los: Die Försterin solle sich doch bitte keine Sorgen machen. Da seien schon kleine Bäume, die die Lücke bald wieder schließen würden. Erst ein paar Jahre alt – und schon hat er verstanden, was Nachhaltigkeit bedeutet.

Die Försterin Karin Dürr leitet in Kaltenbronn im Nordschwarzwald das „Infozentrum“, eine Art Umweltbildungseinrichtung. Zusammen mit der Erzieherin Anja Laubel macht sie die nachhaltige Nutzung natürlicher und nachwachsender Ressourcen am Beispiel Holz für Kinder erfahrbar: in einem Waldstück, das ohnehin durchforstet werden musste, durften sich die Kindergartenkinder einen Baum aussuchen, der dann vor ihren Augen gefällt, zersägt und weiterverarbeitet wurde. Mit den Ästen des Baums wurde das Waldsofa der Kinder neu gepolstert, die Baumspitze wurde zum Kita-Weihnachtsbaum, und aus den Holzresten werden Zwergenhäuschen gebaut. Außerdem bekommt der Kindergarten eine Hütte, die aus dem zu Brettern zersägten Stamm gezimmert werden soll. „Uns war es wichtig, die Kinder miterleben zu lassen, was aus einem großen Baum alles entstehen kann“, sagt Dürr.

Vom Wohlfühl- zum Bildungskonzept

Dass Kindergartengruppen im Wald unterwegs sind, ist nicht neu. 1993 wurde der erste Waldkindergarten Deutschlands in Flensburg gegründet. Heute gibt es davon mehr als 1.000. Auch normale Kindergärten bieten für die Allerkleinsten Waldtage und -wochen an. Auf Bäume klettern, durch Matsch waten und mit Stöcken den Wald erobern, das machen schließlich alle Kinder gerne. Kein Wunder also, dass das Draußensein schon längst pädagogisiert wurde. Doch dieses Wohlfühlkonzept wurde jetzt um einen Aspekt erweitert: Während die Kinder die Natur erleben, sollen sie ganz nebenbei erfahren, was es heißt, nachhaltig zu handeln. Darum startete 2012 ein bundesweites Projekt zur Stärkung von waldbezogener Bildung für nachhaltige Entwicklung im Elementarbereich. Seither erarbeiten 20 Forstleute und 20 Erzieherinnen aus zwölf Bundesländern in Workshops Bildungsangebote, die mit Kindern im Wald erprobt werden.

Dr. Beate Kohler, Forstwissenschaftlerin an der Professur für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg, und Ute Schulte Ostermann vom Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten haben das Projekt „Der Wald ist voller Nachhaltigkeit“ gemeinsam erarbeitet. „Bei der Ausgestaltung war es uns wichtig, von den Kindern her zu denken. Statt ihnen komplexe Erwachsenenthemen überzustülpen, wollten wir ihnen Angebote mit beobachtbaren Phänomenen im Wald machen“, erzählt Kohler. Darum habe man sich mit den Pädagoginnen und Pädagogen zusammengetan, um sich im Dialog mit den Kindern dem Thema anzunähern. „Wichtig dabei ist, allen Beteiligten jede Menge Know-how in Sachen Nachhaltigkeit mitzugeben.“ Schließlich folgt das Projekt den Vorgaben der laufenden Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen.

Spielend lernen im Workshop

Die Workshop-Reihe begleitet die einzelnen Projekte in den Kindergärten. „Wir wollen unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur theoretisch fortbilden“, sagt Kohler. „Sie sollen auch spielerisch erfahren, um was es geht.“ Anfangs, als das etwas sperrige Wort „Nachhaltigkeit“ Kontur bekommen sollte, mussten die Teilnehmer den Begriffen „Ökologie“,„Ökonomie“ und „Soziales“Wortkarten zuordnen. „Das ging hin und her“, erinnert sich die Wissenschaftlerin. Wohin etwa mit dem Wort „Stuhl“? „Ganz klar‚Ökologie‘, sagten die einen, ist ja aus Holz. Wird aber verkauft, also ‚Ökonomie‘, gab eine andere Gruppe zurück. Auf diese Weise wurden die drei Aspekte von Nachhaltigkeit erfahren.“ Zwei Workshops später ging es um den nachhaltigen Konsum des Waldprodukts Papier. Um diesen Zusammenhang konkret zu machen, spielten einige Workshop-Teilnehmer die Geschichte des Papiers in selbst gestalteten Kostümen – natürlich aus Papier – nach. Eine andere Gruppe sollte sich mit den Auswirkungen des weltweiten Papierkonsums auf Mensch und Natur beschäftigen und montierte in einem Zeitungstheaterstück Medienmeldungen über den Papierkonsum.

In und parallel zu den Workshops entwickelten die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ihre pädagogischen Projekte. Kohlers und Schulte Ostermanns Aufgabe ist es, die Teams bei der Arbeit  zu coachen: „in den Workshops machen wir Bildungsangebote, die Impulse für die jeweiligen Projekt liefern. Wichtig ist, dass diese Angebote Schlüsselthemen der Nachhaltigkeit in den Fokus nehmen und konkrete Handlungsoptionen zeigen.“ Außerdem erkunden die beiden Projektleiterinnen im Dialog mit den Tandems, welche Angebote in der Praxis funktionieren und welche nicht. So wird optimiert, was schließlich ans Kind gebracht wird – und an Erwachsene, die sich für nachhaltige Entwicklung interessieren, zum Beispiel Erzieher oder Eltern, denn sämtliche Projekte werden in einem Buch dokumentiert. Wem das nicht reicht, der darf sich auch weiterbilden lassen: „Ende 2014 ist das Projekt abgeschlossen“, sagt Kohler. „Dann wollen wir durch die Republik touren und mit unseren Tandems ein- bis zweitägige Fortbildungen vor Ort anbieten.“

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: uni leben. Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität, 02/2013, S.1

www.leben.uni-freiburg.de

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